Zwangsarbeit im Rhein -Neckar - Raum. Ein Projekt an der IGMH

 

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Heidelberg Altstadt

 

 

 

Gilbert Thiery


Geboren in Baccarat,

 war im Herbst 44 wegen der Frontnähe in das Dorf Pexonne evakuiert worden.

Wohnte in Heidelberg am  Heumarkt bei einem Metzger

 

 

 

Verschleppung aus Pexonne

Ich wohnte in der Stadt Baccarat und dann wurden wir in das Dorf Pexonne evakuiert. Da war ich mit meiner Mutter, meinem Großvater und meiner Großmutter bei meinem Schwager, der in Pexonne wohnte.
Meine Großmutter hatte kurz vorher das Schlüsselbein gebrochen, wir hatten sie in einem kleinen Karren nach Pexonne evakuiert. Und in Pexonne beschäftigte ich mich ein wenig, ich war ja Metzgerlehrling, ich kümmerte mich um die Ernährung der Evakuierten. Ich machte Gemeinschaftsessen und so Sachen. Wir holten uns Kartoffeln von den Feldern.

Ich war als Metzgerlehrling der Koch, der Essen für die Evakuierten machte. Wir hatten einen großen Topf, wir hatten eine Kuh geschlachtet, kochten sie und verteilten das. Es gab Leute aus überallher in Pexonne, aus Bertrichamps, aus Raon.
Und dann wurden wir brutal zusammengeholt, ohne zu wissen warum.  Die Deutschen haben uns in die Kirche von Pexonne gesteckt. Wir haben Angst gehabt, dort verbrannt zu werden. Ich weiß nicht genau, wie lange, aber wir waren sicher vier Stunden drin. Wir waren 150, die aus den Dörfern drum herum geholt worden waren. Das war nicht die Wehrmacht, das war die SS.

 

Ankunft in Heidelberg

Danach in der Schule von Badonviller haben wir auf Kohlehaufen und Kartoffelhaufen geschlafen.
Und dann hat man uns in den Zug verladen, um uns nach Deutschland zu bringen.
Das Glück wollte, dass es in Deutschland ein Bombardement gab bei Mannheim und Heidelberg, das hat unsere Weiterfahrt wahrscheinlich nach Dachau gestoppt.

Daraufhin hat man uns nach Heidelberg gebracht in einen Gymnastiksaal, wo wir darauf warteten, dass Leute uns abholen. Die Patrons sind gekommen, die uns beschäftigen wollten.

Im Heidelberger Marstall befanden sich damals Turnhallen der Universität.

 

Arbeit in der Metzgerei Scheckenbach

 


In diesem Laden Heumarkt 8 war die Verkaufsstelle der Metzgerei Scheckenbach. Die Arbeitsplätze für die Metzger waren nach hinten hinaus. Darüber war die Wohnung der Familie, wo auch Gilbert Thiery mit dem deutschen Lehrjungen Trudpert ein Zimmer bewohnte.

Ich selber habe in einer Metzgerei gearbeitet. Der Chef hieß Sebastian Scheckenbach. Er wohnte Heumarkt 8, an einer kleinen Straße, die zum Neckar hinabführte.
Das war eine kleine Metzgerei, in dem Haus habe ich gewohnt. Es gab da schon Kriegsgefangene, die in der Metzgerei arbeiteten. Ich selber war Metzgerlehrling, war 16 Jahre alt, als ich in diese Metzgerei kam. Ich bin nicht unglücklich gewesen, aber ich war auch nicht glücklich, weil ich von meiner Familie getrennt war. Ich habe sehr wenig deutsch gesprochen.
Ich habe ruhig gelebt, ich hatte nicht so viel Beziehungen zu meinen Arbeitgebern. Aber ich bin nicht unglücklich gewesen. Ich bin nie geschlagen worden. Ich konnte ausgehen, fast wenn ich wollte. Der Patron war ein Schlaukopf, er hatte mir falsche Papiere machen lassen in der Art, dass meine Familienname statt Thiery dort Gilbert war, was deutsch ausgesprochen wurde.
F: Wie viel Stunden am Tag haben Sie gearbeitet?
Ich war kein Märtyrer, wir arbeiteten normal, vielleicht zehn Stunden am Tag, aber das waren keine arbeitsintensiven Stunden. Vielleicht waren es 50 Stunden in der Woche oder mehr. 

Abends hatte ich frei, ich hatte das Recht auszugehen, ich hatten den Ausweis mit meinen umgedrehten Namen, ich konnte wegbleiben bis zu der festgelegten Stunde.
F: Und die Kleidung?
Ah, ich habe während der Zeit etwas gehabt, man hat mir Sachen zum Anziehen gegeben, eigene Sachen. Mein Patron gab mir Tabak, er gab mir sogar Geld, damit ich ausgehen konnte.


Freie Zeit


Kontakte zu den Deutschen

Ich bin durch die Straßen spaziert, ich habe sogar ein Kino besucht. Da gab es Nazi-Propaganda, das war klar und es war auf deutsch, aber es gab doch etwas Unterhaltung. Ich habe die Brücken besucht, die Neckarbrücken. Die historischen Bauwerke wie das Schloss haben mich nicht so interessiert. In die Kirche bin ich nie gegangen.
Ich konnte mich mehr oder weniger frei bewegen. Wenn ich abends  ein wenig ausgehen wollte, war innerhalb bestimmter Stunden in Heidelberg erlaubt.
Und ich versorgte ein wenig meine Kollegen, die mit mir deportiert worden waren. Da gab es welche, die in der Nähe arbeiteten und schlimmer dran waren als ich, da sie nichts zu beißen hatten. Ich hatte zu essen, ich musste ins Schlachthaus gehen, um etwas zu holen.
Im Vertrauen gesprochen, da gab es die Stierhoden, die die Deutschen nicht mitgenommen haben. Also nahm ich sie und brachte sie meinen Kollegen, die schlimm dran waren. Ich hatte Freunde, die mit mir zusammen gewesen warn, sie hatten mir etwas zu beißen gegeben während des Transports. Denn meine Mutter hatte keine Zeit gehabt, etwas für mich vorzubereiten. Also hatte ich während des Transports nach Deutschland nichts zu essen mit gehabt. Nun konnte ich ihnen helfen.

F: Und die Kleidung?
Ah, ich habe während der Zeit etwas gehabt, man hat mir Sachen zum Anziehen gegeben, eigene Sachen. Mein Patron gab mir Tabak, er gab mir sogar Geld, damit ich ausgehen konnte.

Von meinen französischen Kameraden dort sind viele tot. Einer hieß André Susset, er war von St. Maurice, einem Nachbardorf von Pexonne .Beim spazieren gehen in der Stadt habe ich ihn eines Tages getroffen. Ich habe zu ihm gesagt: “Habe keine Angst! Ich gebe dir, was ich kann.” Ich konnte sehr gut mit der Verkäuferin in der Metzgerei. Da gab es Lebensmittelmarken für Fett, für Rindfleisch und anderes. Und ich habe diese Marken meinem Kumpel gegeben. Es gab sogar Fälle, wenn sie keine Marken hatte, dann gab sie mir Fleisch, wenn die Chefin nicht da war. Gerade Susset hatte mir während der ganzen Eisenbahnfahrt geholfen, er musste nun im Wald arbeiten oder sonst wo. Ich gab ihm einen Haufen Sachen, alles was ich konnte: Tabak, Butter, Lebensmittelmarken. 
Die Metzgersfrau hat mir Lebensmittelmarken gegeben, die habe ich meinem Freund weitergegeben, damit er sich verpflegen konnte, denn er war wirklich schlecht dran. Ich habe ihm auch Hemden gegeben.
Susset ist jeden Sonntag gekommen, jeden Sonntag, ich lud ihn zum Essen ein. Ich habe ihn in ein Restaurant geführt, wo sie damals “Stammessen” servierten. Das waren Kartoffeln mit Kohl oder so etwas. Ich hatte ja tatsächlich Geld, um etwas in den Restaurants zu bezahlen. Das waren keine Leckerbissen.

Ich sage die Wahrheit: Es gab Leute, die schlimm dran waren, aber ich hatte Glück zu einer Familie zu kommen, die wirklich freundlich war. Ich war irgendwie verletzt, als ich ankam. Da wurde ich durch einen deutschen Arzt behandelt, der Bescheid wusste. Der Arzt kam her, er hat mein Bein versorgt, ich hatte eine Wunde am Bein. Auch die deutschen Polizisten waren auf dem Laufenden. Es war wie überall: es gab einen kleinen Schwarzmarkt. Die Leute hatten Hunger, und der Patron war Metzger, also machte er ein wenig, wie er wollte. Er sprach nicht französisch, aber ich hatte ein wenig deutsch gelernt in der Schule, ganz wenig, das habe ich dort ein wenig erweitert. Die Metzgerei war im Erdgeschoss hinten hinaus, vorne war der Verkaufsraum, und unten im Keller war der Kühlraum.
Die Frau des Patrons war die Verkäuferin, sie war ziemlich jung, übrigens hübsch. Sie war ziemlich kräftig. Scheckenbach selber war sehr, sehr mager. Er rauchte ungeheuer viel. Es gab eine Haushälterin, die Lisbeth hieß. Sie kam jeden Tag für den Haushalt, denn die Chefin arbeitete in der Metzgerei mit der Verkäuferin zusammen. Das war eine kleine Metzgerei, ihr habt sie ja gesehen… Die Kinder waren viel jünger als ich, fast noch Kleinkinder. Die eine Tochter ging in den Kindergarten, die andere in die Grundschule. Ich erinnere mich, dass ich ihr bei den Hausaufgaben geholfen habe, in Mathematik. Das ist in Deutschland und Frankreich dasselbe.
Der Patron war machte mit bei denen, die nachts Dienst taten, bei der Stadtwacht. Aber trotzdem hatte er keine Beziehungen zu den Nazis, überhaupt nicht. Er war katholisch, aber ich denke nicht, dass er das sehr viel  praktizierte. Ihr wisst ja, dass in Deutschland Weihnachten eine mächtige Sache ist. Zu Weihnachten haben sie mir Geschenke gegeben, sie haben mit Zigaretten geschenkt, sie haben mir Konfekt geschenkt, alle möglichen Sachen.
Ich wohnte in einem Zimmer zusammen mit einem Lehrling, der auch da arbeitete. Sein Name war lustig, denn er hieß Trudpert. Wir waren zu zweit im Zimmer:  Er war Deutscher, er musste in die HJ gehen, und ich war Franzose – klar, dass man sich nicht allzu gut verstand. Dieser Junge war im übrigen keine großen Sprünge. Ich weiß, dass er bei den Hitlerjungen war, von Zeit zu Zeit hing er den Dolch, zog sich an für Paraden, für Zeremonien. Da hatte er ein Armband und einen Dolch. Er war dann eine Art Soldat, ich wusste wie das deutsche Militär aussah. Er hob den Arm und schrie für Hitler. Das war ein kleiner Kerl, er war dick und kleiner als ich. Wenn er in die Stadt ging und einen Offizier sah: “Heil Hitler!” Er war vollkommen verrückt, der Typ. Er war ein bisschen jünger als ich, 14 oder 15. Gut, wir hatten keine Beziehung miteinander, wir sprachen praktisch nicht miteinander. Er hat nichts gesagt und ich wollte ebenso nicht mit ihm sprechen. Er musste dann zum Militär, er war dann praktisch nicht mehr da. Er musste zur Luftwaffe, so schien es, das habe ich vom Patron erfahren.
Ich hatte auch noch zu einem anderen Deutschen Kontakt, der zum Arbeiten zu Scheckenbach kam. Das war ein Gastwirt, der ein oder zweimal in der Woche kam. Er hatte ein kleines Restaurant in Heidelberg. Der arbeitete bei uns in Haus, half uns etwas und als Lohn dafür gab ihm der Patron Fleischwaren, womit er sein Restaurant betrieb. Da bin ich auch einmal hingegangen, bin gut empfangen worden. Man hat mir eine Zigarre gegeben.

 

Nach dem Krieg
In der Zeit nach dem Krieg habe ich Kontakt mit dem Metzger gehabt, den Grund nenne ich euch: Der Bruder der Metzgersfrau war Wehrmachtssoldat, er war in Russland gewesen und hat sich dann als Kriegsgefangener in Baccarat befunden, der Stadt, wo ich wohnte. Da bin ich aus Heidelberg benachrichtigt worden, dass dieser Bruder hier Kriegsgefangener war. Ich habe das Kommando gefunden, bewacht von Amerikanern. Ich habe gesagt: Ich kenne diese Person nicht, aber ich kannte seine Verwandten in Deutschland. Sie haben mit sehr gut aufgenommen, ich hatte es sehr, sehr gut bei seinen Verwandten. Da hat der amerikanische Kommandant ihn freigelassen…Ich war nicht für die Deutschen eingestellt, mir war immer bewusst, dass sie mich gestohlen hatten. Ich hatte nichts getan, dass man mich dafür hätte verschleppen können. Ich zeigte es nicht, aber ich liebte die Deutschen nicht. Aber diese Familie war freundlich zu mir, sie waren korrekt. Sie haben mir nichts Böses, sie haben mir Gutes getan.